Stadtgeschichte Rietberg
Die Stadt Rietberg – seit der Gebietsreform von 1970 bestehend aus ihren sieben Stadtteilen – hat eine lange, geschichtsträchtige Vergangenheit, unter anderem als Grafschaftsresidenz und Landeshauptstadt.
Die Stadt Rietberg – seit der Gebietsreform von 1970 bestehend aus ihren sieben Stadtteilen – hat eine lange, geschichtsträchtige Vergangenheit, unter anderem als Grafschaftsresidenz und Landeshauptstadt.
An dieser Stelle soll die ehemalige Grafschaftsstadt von ihrer geschichtlichen Seite her ein wenig näher beleuchtet werden.
Zunächst einmal: Rietberg hieß nicht immer Rietberg. Im Mittelalter, um 1100, hieß es zunächst einmal Rietbike (Was etwa bedeutet: “Bach mit Schilfrohr und Riedgras”, wobei “Ried” eben das Schilfgras meint und “Bike” auf den dazu gehörigen Bach verweist).
Der Name “Rietbike” hob also wichtige Elemente der hiesigen, von Bächen durchzogenen, sumpfigen Emslandschaft hervor. Der Namenswandel von Rietbike zu Rietberg vollzog sich bis zum Jahre 1237 und ist mit der dauerhaften Errichtung eines “festen Hauses”, also einer Burganlage, als Sitz für das neu begründete Grafenhaus Rietberg zu erklären. “Berg” bedeutet hier also nicht eine Hügelerhebung, sondern “Berg” meint hier (wie in den meisten ortsbezogenen Namensbeispielen dieser Zeit) eine Burg. Es wird sprachlich von “bergen” ( = “schützen” oder “Schutz suchen”) abgeleitet. Der Name “Rietberg” bedeutet also frei übersetzt: Burg im Sumpf- oder Schilfgras.
An diesen landschaftlichen Entstehungszusammenhang Rietbergs erinnert der Brunnen vor der Stadtverwaltung, Rügenstraße 1, den der heimische Künstler Johannes Niemeier aus Druffel im Jahre 1989 aus Anlaß des 700jährigen Stadtjubiläums von Rietberg geschaffen hat.
Aber anfangs war Rietberg noch keine Stadt. Rietberg war zunächst nur der Name einer Burg, die schon im 11. Jahrhundert als eine gegen Paderborn ausgerichtete Grenzburg der Grafen von Werl-Arnsberg errichtet worden sein muss.
Die Burg Rietberg, die ihren Standort im Knick der Ems auf dem Gelände des ehemaligen Franziskanerklosters hatte, war der Ausgangspunkt für die weitere Besiedlung. Handwerker und Kaufleute gediehen im Schatten der Burg, und später folgte dann auch die planvolle Anlage einer befestigten Stadt, deren damalige Hauptstraße die heutige Rügenstraße war. Zu der Stadt mit dem Namen Rietberg kam es aber erst, als sich durch Erbteilung der Arnsberger Graf Konrad selbständig machte und im Jahre 1237 sein vom sauerländischen Arnsberg aus nördlich der Lippe gelegenes Gebiet zu einem eigenständigen Territorium erklärte. Graf Konrad nannte sich nach seiner Burg an der Ems von da an “Graf von Rietberg”.
Damit ging der Name Rietberg von der Burg auf das von nun an hier ansässige Grafenhaus über, weiterhin auf die im Schatten der Burg angelegte Stadt und schließlich aber auch auf das gesamte Land des Grafen, nämlich die Grafschaft, über. Der Name “Rietberg” hatte im Mittelalter demnach immer vier Bedeutungen 1. die Burg, 2. das Grafenhaus, 3. die Landeshauptstadt und 4. das Land.
Der Name Rietberg wurde also auch der dynastische Familienname für das gräfliche Herrscherhaus. Die Landesherren nannten sich die “Grafen von Rietberg”, so z. B. Otto Graf von Rietberg, Johann Graf von Rietberg usw. Für viele in früheren Zeiten aus Rietberg ausgewanderte Menschen ist der Herkunftsort Rietberg ebenfalls zum Familiennamen geworden. Allsommerlich kommen immer wieder Besucher mit dem Namen Rietberg insbesondere aus Süddeutschland oder auch aus den Niederlanden in unsere Stadt, um ihren westfälischen Ursprüngen nachzuforschen.
Rietberg war also seit dem 13. Jahrhundert die Landeshauptstadt eines eigenständigen deutschen Territoriums, das allerdings sehr klein war. Die Grafschaft Rietberg umfasste etwa ein Gebiet von ca. 215 km². Das Staatsgebiet erstreckte sich von Schloß Holte/Liemke im Norden bis nach Mastholte im Süden. Im Osten grenzte es an das Fürstbistum Paderborn, im Westen an das zum Fürstbistum Osnabrück gehörende Amt Reckenberg mit seiner bischöflichen Verwaltung auf dem Reckenberg in Wiedenbrück. Vereinfacht gesagt umfasste die Grafschaft, also das Land Rietberg, bis zu seinem staatlichen Ende im Jahre 1807 das Gebiet der heutigen Stadt Rietberg, der heutigen Gemeinde Verl und eines kleinen Teils der heutigen Gemeinde Schloß Holte-Stukenbrock.
Im Mittelalter zählte die Landeshauptstadt Rietberg zwischen 800 und 1.000 Einwohner, während man in der ganzen Grafschaft vielleicht auf insgesamt 5.000 Seelen, wie man das damals nannte, oder Untertanen des gräflichen Hauses Rietberg kam. Im Vergleich dazu kommt das ehemalige Staatsgebiet Rietberg heute allein mit der Gemeinde Verl (24.800 E.) und der Stadt Rietberg (rund 30.000 E.) schon auf das Zehnfache, nämlich gut 54.600 Einwohner.
Die Grafschaft Rietberg war im Mittelalter wirklich ein sehr kleines Land, das aber ungeachtet seiner geringen materiellen Basis über eigenes Militär, über eine eigene Währung und über eine eigene Gesetzgebung verfügte und im gewissen Rahmen auch eine eigenständige Außenpolitik betrieb. Rietberger Münzen wurden bis zum 17. Jahrhundert in der danach benannten Müntestraße in Rietberg geprägt. Die Landesregierung hatte bis zum 18. Jahrhundert ihren Sitz auf dem Schloß Rietberg, das etwa Mitte des 14. Jahrhunderts im morastigen Sumpfgebiet 1 km südlich der Stadt, Richtung Delbrück, errichtet worden war.
Da man das Schloß Rietberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr benötigte, wurde es, und das ist vor allem in touristischer Hinsicht bedauerlich, im Jahre 1803 abgebrochen. Heute erinnern nur noch Reste der alten Wallanlagen an das ehemals gräfliche Schloß. Innerhalb der alten Schloßwälle befindet sich heute das Gut Rietberg.
Die Johanneskapelle
Erhalten blieb dagegen die gräflich gestiftete, im Jahre 1748 geweihte Johanneskapelle an der ehemaligen Schloßauffahrt an der Delbrücker Straße. Als einer der bedeutendsten spätbarocken Zentralbauten in Westfalen stellt die Johanneskapelle zweifellos das herausragendste Baudenkmal auf dem heutigen Stadtgebiet von Rietberg dar. Die Kapelle ist dem vor allem in Süddeutschland sehr populären böhmischen Brückenheiligen St. Johannes von Nepomuk geweiht, der seit dem 18. Jahrhundert als Patron der Grafschaft Rietberg verehrt wurde.
Die Stadt Rietberg war die Landeshauptstadt, und sie war gleichzeitig aber auch schon die einzige Stadt innerhalb der ganzen Grafschaft Rietberg. Damit war die Stadt ein aus dem Land in besonderer Weise herausgehobener Bereich relativer bürgerlicher Freiheit und städtischer Selbstverwaltung. Für diese besondere bürgerliche Freiheit steht symbolisch bis heute das Historische Rathaus von 1805, das als eines der schönsten Rathäuser in Westfalen gilt. Während sich die Bürger der Stadt Rietberg in Jahrhunderte der, wie es heißt, “freimachenden Stadtluft” erfreuen konnten, waren die Rietberger Eingesessenen auf den Höfen in den Bauerschaften, die in etwa mit den heutigen Stadtteilen der Stadt Rietberg gleichzusetzen sind, Eigenbehörige des Grafen und unterstanden damit als Unfreie der Weisung und Rechtsprechung ihres Landesherren.
Der historische Stadtkern
Eine Stadtmauer hat Rietberg wohl nie gehabt. Die Ems und ein von ihr umflossener Umflutgraben schützten gemeinsam mit einem aufgeschütteten Erdwall mit einer aufgesetzten Planken- und Palisadenbefestigung die Stadt. Bis heute blieb der inzwischen denkmalgeschützte bemerkenswert geschlossene Grundriß des Historischen Stadtkerns mit einem großen Teil der Fachwerkhäuser erhalten. Die vom ehemaligen Nord- bis zum Südtor führende Rathausstraße, die Rügen- und die Müntestraße teilen den historischen Stadtkern in vier etwa gleich große Viertel. Diese Stadtviertel bildeten bis zur Neuzeit die Grundlage für Einwohnerzählungen, Steuererhebungen und Ratswahlen. Sie waren die unterste Verwaltungs- und Gerichtsebene der Stadt.
Im Mittelalter standen den städtischen Räten zwei anfangs gleichberechtigte Bürgermeister gegenüber. In der Verantwortung des Lohnherrn lagen die Stadtfinanzen. Vier Deputierte repräsentierten die einzelnen Stadtviertel. Heute gibt es in Rietberg einen hauptamtlichen Bürgermeister und zwei ehrenamtliche Stellvertreter, die städtischen Finanzen obliegen dem Kämmerer, und die mittelalterlichen Deputierten der vier Stadtviertel können wir in etwa in den heutigen Ortsvorsteherinnen und Ortsvorstehern der sieben Stadtteile wiederfinden.
Ganz unabhängig davon, in welchem der heutigen sieben Stadtteile Rietbergs Sie leben, den Spuren des gemeinsamen geschichtlichen Werdens und Wachsens, erst unter dem Dach der Grafschaft Rietberg, dann unter dem des preussischen Amtes Rietberg und heute innerhalb der gemeinsamen Stadt Rietberg, diesen Spuren und bis heute wirksamen Momenten des Geschichtlichen können Sie tagtäglich nahezu überall begegnen. Auch das weit verbreitete Bewußtsein der hier lebenden Bürgerinnen und Bürger für die Geschichtlichkeit der Gegenwart werden Sie in allen Stadtteilen erfahren können – oder erfahren es bereits. Denn dieses Bewusstsein ist längst nicht auf den Historischen Stadtkern Rietbergs beschränkt.
Der Name Rietberg, ob die ehemalige Burg, die ehemalige Grafschaft oder die heutige Stadt gemeint ist, steht überall und insgesamt für eine ganz bedeutsame Vergangenheit. Denn Modernität und Geschichtsbewußtsein zeigt Rietberg heute allerorten. Das macht es uns ja so sympathisch – und das gleich siebenmal.