Was macht eigentlich das Rietberger Stadtarchiv?
Rietberg. Die Stadt Rietberg hat eine lange, geschichtsträchtige Vergangenheit: unter anderem als Grafschaftsresidenz, zeitweise sogar als Landeshauptstadt. Auch, um diese wechselvolle Geschichte zu belegen, müssen allerhand alte Dokumente und Urkunden aufbewahrt werden. Dies geschieht im Rietberger Stadtarchiv.
Dort wird aber noch vielmehr aufbewahrt: Neben Urkunden (die älteste von 1413) lagern dort Verwaltungsakten (ab dem 16. Jahrhundert), Chroniken, Amts- und Protokollbücher (ab Mitte des 19. Jahrhunderts), Personenstandsregister (seit 1874) und vieles mehr. „Wir bewahren die vergangene und die gegenwärtige Lebenswelt“, sagt Thorsten Austermann. Dabei lebt Rietbergs Stadtarchivar keineswegs das Klischee, das manche von dem Berufsbild eines Archivars haben mögen, mit Tätigkeiten nur in muffigen Kellern ohne Tageslicht. – Nein, der Beruf des Archivars ist deutlich vielfältiger.
Austermann ist studierter Historiker und hat sich für die Archivarbeit entsprechend fortgebildet. Seine Kollegin Luisa von Fürstenberg hat hingegen den Beruf erlernt: Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv. Sie hat soeben ihre dreijährige duale Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und wird nun in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen. „Ich wollte immer etwas mit Geschichte machen“, erzählt die 30-Jährige, „aber gern auch etwas Praktisches.“ Das begonnene Geschichtsstudium war ihr zu theoretisch. Deshalb sei die Arbeit im Archiv genau das Richtige für sie.
Abwechslungsreich ist die Arbeit allemal: Dokumente müssen aufbereitet, registriert, katalogisiert und geordnet eingelagert werden. Sie müssen für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ihr Konservierungszustand überwacht werden. Dokumente in Papierform werden inzwischen eingescannt, um sie auch elektronisch vorzuhalten.
„In den vergangenen zehn Jahren haben wir etwa 5000 Akten digitalisiert. Das entspricht etwa 307.000 einzelnen DinA4-Scans und einem Speicherbedarf von 5,2 TB“, erklärt Austermann. Wenn man bedenkt, dass noch weitere 14.000 Akten digitalisiert werden müssen, lässt sich erahnen, wie lange dies noch dauern wird. „Ich werde die Fertigstellung im meinem Berufsleben wohl nicht mehr miterleben“, so Austermann (44). Dabei leistet das Gros des Digitalisierens ein externer Dienstleister. Doch die Vor- und Nacharbeit müssen Austermann und von Fürstenberg erledigen: Das Umbetten der Akten und das Verzeichnen im digitalen Archivprogramm. Mit Umbetten ist gemeint, sämtliches Metall wie Heft- und Büroklammern oder Kunststoffe zu entfernen. Sie greifen sonst auf Dauer das Papier an.
Und es kommen immer wieder neue Akten hinzu: Alles, was in der Stadtverwaltung nicht mehr benötigt wird, wird dem Archiv angeboten und darf zunächst nicht weggeworfen werden. Die Archivare müssen entscheiden, ob die Akten »archivwürdig« sind. Auch wenn das vielleicht nur fünf bis zehn Prozent sind.
Archivwürdig sind Unterlagen allerdings nur dann, wenn sie einen bleibenden Wert für die lokale Geschichte widerspiegeln. Das gilt auch für Material nicht-kommunaler Herkunft. „Uns werden häufig alte Zeitschriften, Sammlungen mit Zeitungsausschnitten, Fotos und Dias, aber auch Plakate, Karten, Pläne und Zeichnungen, Videofilme und Tonaufnahmen angeboten“, sagt Austermann. „Das ist gut gemeint, doch oft müssen wir die Menschen enttäuschen und sie heimschicken, weil vieles eben nicht relevant ist für die lokale Geschichte. „Wir haben auch einfach nicht den Platz, alles zu archivieren“, erklärt Thorsten Austermann.
In der Tat beschränkt sich das Stadtarchiv auf zwei Magazinräume mit insgesamt 220 Regalmetern. In den Regalen werden die Archivalien in beschrifteten Kartons ordentlich eingelagert. Dort herrschen dauerhaft eine Temperatur von 18 Grad und eine etwa 55-prozentige Luftfeuchtigkeit – die besten Bedingungen zur Lagerung des Archivgutes, damit Papier nicht zerfällt. Auch dort muss regelmäßig gereinigt werden, damit sich kein Staub ablagert oder gar Schimmel entsteht.
Größte Herausforderung ist derzeit die digitale Entwicklung. Handelte es sich bei dem Archivgut bisher vor allem um beschriebenes Papier, das jederzeit aus den Magazinen geholt und gelesen werden kann – vorausgesetzt man beherrscht auch die Kurrentschrift oder Sütterlin – so ist dies seit der Einführung von Computern, Disketten, CDs und anderen Speichermedien längst nicht mehr so einfach. Immer mehr technische Hilfsmittel werden nötig, um die Haltbarkeit digitaler Datenträger zu gewährleisten. Schon jetzt gibt es kaum noch Geräte, um Floppy-Discs, 3,5-Zoll-Disketten oder VHS-Kassetten lesen zu können.
Gleichzeitig vollzieht sich intern die Ablösung der Karteikästen und Findbücher durch multifunktionale Datenbanken. Archivare müssen also nicht nur den Bestand wirklich alter Archivalien gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass die Gegenwart für die Nachwelt erhalten bleibt. Insoweit sind immer mehr IT-Kenntnisse erforderlich. Schließlich müssen auch umfangreiche Datenbanken in einem digitalen Archiv gefüttert werden.
Das hilft, bei einer Suchanfrage schnell das passende Objekt zu finden. Denn das Stadtarchiv ist für alle Bürgerinnen und Bürger da. Manchmal sind das Heimatforscher und Historiker, oft aber auch Gerichte, Anwälte oder Nachlassverwalter, die um Auskünfte bitten. Wenn bei Verstorbenen eine Erbreihenfolge ermittelt werden muss, sind sie auf der Suche nach entfernten Verwandten, die als mögliche Erben ausgeschlossen werden können. Im Stadtarchiv müssen dann zum Beispiel Sterbedaten überprüft und beglaubigt werden.
„Besonders zu Beginn der Pandemie hat die private Ahnenforschung zugenommen“, sagt Thorsten Austermann. Viele Menschen nahmen sich Zeit für die Familiengeschichte. „Bei so etwas helfen wir gern, es macht die Arbeit so abwechslungsreich.“